Nationalrat sagt nein

21.09.2023

 

Wie kann die Situation von Care Leaver*innen betreffend Finanzierung des Lebensbedarfs während der Ausbildung (bis 25 Jahre) verbessert werden? Diese Frage stellte Nationalrätin Sarah Wyss dem Bundesrat in ihrem Postulat (21.4022) und forderte dazu einen bundesrätlichen Bericht. Darin sollten Modelle aufgezeigt werden, die es ermöglichen, dass Care Leaver*innen entweder bei der Einforderung des elterlichen Unterhaltsbeitrags unterstützt werden oder bei Bedarf andere Unterstützungsleistungen bekommen (analog Kinderrente mit Rechtsanspruch) und nicht Sozialhilfe beziehen müssen.

Das Postulat wurde vom Bundesrat am 17. November 2021 zur Ablehnung empfohlen. Dies mit der Begründung, dass die Kantone zuständig seien und es neben den Empfehlungen von KOKES und SODK zur ausserfamiliären Unterbringung keinen zusätzlichen Bericht des Bundesrates in dieser Angelegenheit brauche.

Dem stellte sich das Kompetenzzentrum Leaving Care (KLC) entgegen und wandte sich in einem Schreiben an die Parlamentarier*innen mit der Empfehlung, das Postulat anzunehmen – mitunterzeichnet von Mitgliedern der parlamentarischen Gruppe Care Leaving, dem Verein Careleaver Schweiz sowie von den Verbänden YOUVITA, Integras und PACH. Das KLC betonte darin, dass Bildung einen zentralen Wirkfaktor für eine gelingende Integration in Arbeitswelt und Gesellschaft darstellt. Zudem dürfen Bildungsvorhaben von Care Leaver*innen nicht daran scheitern, dass die Finanzierung des Lebensbedarfs nicht oder nur mit grösster Mühe und mit zum Teil langjährigen Auswirkungen (Rückzahlungsverpflichtungen) möglich ist. Der Bericht des Bundesrats wäre eine Chance, die Kantone mit dem Aufzeigen möglicher Modelle bei einer nachhaltigen Umsetzung der Kinder- und Jugendhilfe und in der Organisation geeigneter Lösungen über die Jugendhilfe hinaus zu unterstützen.

Letzte Woche – in der Herbstsession 2023 – wurde das Postulat im Nationalrat behandelt und verpasste leider knapp die Mehrheit: den 87 Ja-Stimmen standen 92 Nein-Stimmen gegenüber.

Sehr schade und dennoch werten wir dieses Ergebnis als Achtungserfolg! Wir sind erfreut, dass Bundesrat Alain Berset in seinem Statement das KLC und sein Engagement für die Chancengleichheit von Care Leaver*innen erwähnt hat. In seiner Empfehlung zur Ablehnung argumentierte Berset unter anderem, dass der Bund sich bereits indirekt in dieser Sache engagiere, indem er über den Leistungsvertag mit YOUVITA das Kompetenzzentrum im Rahmen des KJFG (Kinder- und Jugendförderungsgesetz) subventioniere.

Die Annahme des Postulats wäre ein wichtiger Schritt zur Chancen- und Rechtsgleichheit von Care Leaver*innen gewesen. Offen bleibt die Frage: Wie stellt der Bund sicher, dass das Grundrecht der Rechtsgleichheit für Care Leaver*innen gewährleistet wird und zwar unter Berücksichtigung der heute bestehenden unterschiedlichen kantonalen Gesetzgebungen?